Die stille Krise der Hotellerie – und warum wir sie nicht länger schönreden dürfen
- Zeev Rosenberg
- 27. Apr.
- 3 Min. Lesezeit

Manchmal spüren wir Veränderungen nicht sofort, sondern registriert sie erst dann, wenn es zu spät ist. Ein leeres Lächeln an der Rezeption. Ein freundliches, aber seelenloses "Willkommen". Der kurze Moment, in dem man merkt: Hier wird nicht mehr Gastfreundschaft gelebt, hier wird ein Prozess abgearbeitet.
Die Hotellerie feiert sich selbst: neue Designkonzepte, neue Apps, neue Automatisierungen. Aber während die Häuser moderner werden, wird das, was sie einmal besonders machte, immer blasser. Gastlichkeit ist heute in vielen Betrieben eine Fußnote geworden. Sie steht in den Hochglanzbroschüren, aber nicht mehr im Alltag. Dort geht es um Effizienz, Kostensenkung, Margen. Und irgendwann fragt sich niemand mehr, warum Gäste überhaupt kommen – außer, um eine Zimmernummer zu füllen.
Gerade in den Häusern, die sich mit ihrem Anspruch schmücken – u.a. Boutique Hotels, Design Hotels, Luxusadressen (und viele mehr) – wird dieser Verlust besonders schmerzhaft sichtbar.Dort, wo Gäste einst das Gefühl hatten, Teil einer Geschichte zu sein, sind sie heute oft nur noch Datensätze im CRM-System.Dabei suchen Menschen nicht nur Komfort. Sie suchen Zugehörigkeit.Und während neue Online-Check-ins ausgerollt werden, verschwindet der wichtigste Moment: die echte, unverstellte Begegnung.
Die Wahrheit ist: Auch viele Mitarbeitende spüren diese Leere. Viele wollen nicht nur Dienst nach Vorschrift leisten, sie wünschen sich wieder echte Gespräche, echte Verbindungen. Nicht zwischen App und Zimmerkarte, sondern zwischen Menschen.
Und ja, auch sie müssten manchmal einen Schritt zurücktreten, weniger private Bildschirme während der Schicht, sondern mehr Präsenz, mehr Interesse, mehr Gastlichkeit – nicht, weil es in einer Arbeitsanweisung steht, sondern weil es den Sinn ihrer Arbeit zurückbringt.Weil es sie selbst wieder stolz machen könnte.
Führung heißt in diesem Moment mehr denn je: Haltung zeigen. Nicht nur Zahlen verwalten, denn Führung bedeutet, Mitarbeitende zu schützen, wenn Gäste die Grenze überschreiten. Ob es um Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung oder Hautfarbe geht – wer schweigt, wenn Ungerechtigkeit geschieht, verliert nicht nur sein Team, sondern auch sich selbst.
Viele Hotels verweisen auf ihre "Integrity Lines", ihre anonymen Meldekanäle, dass ist eine gute Idee, auf dem Papier, nur auch diese Instrumente sind nur so gut wie der Geist, mit dem sie betrieben werden. Ein Haus, das glaubt, mit einer Hotline Kultur schaffen zu können, verkennt das Wesen echter Gastlichkeit. Zu oft werden diese Systeme missbraucht – als anonyme Waffe in persönlichen Auseinandersetzungen, als Möglichkeit, ohne Gespräch, ohne Mut, gegen Kollegen vorzugehen. Ein Formular ersetzt kein echtes Gespräch. Eine echte Kultur wächst nicht aus Angst, sondern aus Vertrauen.
Und während immer mehr Benefits, mehr Apps und mehr digitale Tools versprochen werden, lösen sich die Grundlagen der Hotellerie immer weiter auf. Offene Stellen bleiben unbesetzt, Mitarbeiter kommen und gehen schneller, als man ihre Namen auf die Uniform sticken kann.Gäste spüren die Leere, noch bevor sie sich im Zimmer eingerichtet haben.
Die Branche hat keine Imagekrise, sie hat eine Haltungskrise.
Hotels, die den Menschen aus ihren Häusern verbannen – den Gast ebenso wie den Gastgeber –, verlieren alles, was sie einmal bedeutete Hotels, die den Mut haben, Gastlichkeit nicht als Produkt, sondern als Versprechen zu sehen, könnten eine neue Zukunft aufbauen.Vielleicht sogar besser als zuvor.
Es gibt Hoffnung, nur wächst sie nicht in Konzeptpapieren und nicht in neuen Apps oder in anonymen Programmen. Sie wächst dort, wo jemand einem anderen Menschen wieder in die Augen sieht – und meint, was er sagt.
Vielleicht ist es am Ende viel einfacher, als wir glauben. Vielleicht braucht es keine neuen Systeme, keine weiteren Tools, keine zusätzlichen Programme. Vielleicht reicht es, sich daran zu erinnern, was es bedeutet, Gastgeber zu sein: jemanden wirklich zu sehen, nicht als Kostenstelle oder als Störfaktor im Ablauf, sondern als Mensch, der einen anderen Menschen trifft. Es ist leicht, sich hinter Prozessen zu verstecken, leicht, Zahlen zu feiern und Begegnungen zu verlernen. Aber irgendwann bleibt nichts mehr übrig, was sich feiern ließe. Wer heute den Mut hat, die Masken abzunehmen und wieder Haltung zu zeigen, dem gehört die Zukunft – nicht, weil er lauter ruft oder moderner ist, sondern weil er derjenige ist, der geblieben ist, als viele schon aufgegeben hatten. Und manchmal beginnt diese Veränderung nicht mit großen Konzepten oder teuren Investitionen, sondern einfach mit einem Blick, einem ehrlichen Lächeln, einem echten Willkommen.
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