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Diskurs oder Ausschluss? Vom Zustand unserer Gesprächskultur

  • Autorenbild: Zeev Rosenberg
    Zeev Rosenberg
  • 6. Juli
  • 6 Min. Lesezeit
KI Bild - Diskurs oder Ausschluss? Vom Zustand unserer Gesprächskultur
KI Bild - Diskurs oder Ausschluss? Vom Zustand unserer Gesprächskultur

Zwar war für diesen Sonntag eigentlich ein fachlicher Newsletter geplant. Doch ein aktuelles Erlebnis hat alles verändert – und macht Schweigen unmöglich. Wer mich kennt, weiß: Diskussionen sind willkommen, Ja-Sagerei nicht. Fairness, Ehrlichkeit und Offenheit gehören zu meinen Grundwerten. Herkunft, Religion, politische Haltung oder sexuelle Orientierung – all das spielt für mich keine Rolle, solange ein Gespräch auf Augenhöhe stattfindet und menschlich bleibt. Doch was in dieser Woche geschehen ist, hatte mit Respekt und Werten nichts mehr zu tun – jedenfalls nicht aus meiner Sicht.


Die Nachricht kam an einem Freitagabend. Unaufgeregt formuliert, aber mit klarem Inhalt: Für die anstehende Feier sei kein Platz. Nicht wegen eines Verhaltens, das Grenzen überschritten hätte. Sondern wegen eines Gesprächs – geführt vor Monaten – über den Gaza-Krieg.


Damals, bei einer Geburtstagsfeier, ergab sich eine Unterhaltung mit dem Sohn des Gastgebers und seiner Freundin. Das Thema war heikel, ja. Es ging um Israel, Gaza, Verantwortung, Opfer, Gewalt. Die Meinungen lagen weit auseinander. Doch das Gespräch verlief ruhig, ohne Beschimpfungen, ohne Provokationen. Und doch reichte es aus, dass beide mitten im Austausch aufstanden und wortlos weggingen.


In der gesamten Zwischenzeit gab es kein Wort, keinen Hinweis, kein Gespräch. Kein Anzeichen dafür, dass etwas offen oder belastend im Raum stand. Wenn das Gespräch tatsächlich so schwer wog, hätte es eine zeitnahe Aussprache gebraucht – ein offenes Wort, ein ehrlicher Austausch. Doch nichts dergleichen geschah.


Das Schweigen über Wochen spricht für sich. Wer wirklich verletzt ist, sucht das Gespräch. Wer eine Beziehung ernst meint, klärt Missverständnisse. Wer all das unterlässt, sendet eine andere Botschaft: Dass diese Freundschaft oder Bekanntschaft nie wirklich auf Ehrlichkeit gebaut war.


Bis zu jenem Freitag, als deutlich wurde, dass die Diskussion nicht nur nachhallte – sondern längst zu einem Urteil geführt hatte. Der Sohn stellte ein Ultimatum: Entweder er kommt zur nächsten Feier – oder die Person, mit der über Gaza gesprochen wurde. Seine Begründung: Die Diskussion habe ihn und seine palästinensische Freundin verletzt.


Verständnis für persönliche Betroffenheit ist das eine. Aber monatelanges Schweigen, gefolgt von Ausgrenzung – das ist etwas anderes. Eine Meinung zu äußern darf nicht als Angriff gewertet werden. Nicht in einer Demokratie. Und erst recht nicht, wenn jüdische Perspektiven pauschal als unangebracht empfunden werden.


Noch im Vorjahr wurde gemeinsam Urlaub gemacht – die Tage waren schön, das Miteinander wirkte entspannt, vertraut. Es schien, als wäre alles in Ordnung. Doch vielleicht war diese Nähe nur oberflächlich – denn Freundschaft, die einem politischen Gespräch nicht standhält, war womöglich nie belastbar.


Was hier geschehen ist, lässt sich nicht einfach als verletzte Befindlichkeit abtun. Es ist Ausdruck einer Haltung, die in der deutschen Gesellschaft zunehmend Raum gewinnt: Eine Form von linker Intoleranz, die gegenüber jüdischen Stimmen besonders empfindlich reagiert – gerade dann, wenn diese sich selbstbewusst äußern.


In Demonstrationen, in Medien, im Alltag zeigt sich diese Doppelmoral immer wieder. Wer Israel kritisiert, gilt als mutig. Wer Israel verteidigt, wird sofort in eine Ecke gestellt. Wer „Palästina“ ruft, darf laut sein. Wer Israels Existenzrecht betont, gilt schnell als problematisch. Auf vielen Straßen Deutschlands wird gehetzt – auf Hebräisch hingegen schweigt man besser.


Hinzu kommt die permanente mediale Verzerrung: In Berichterstattung, Talkshows und sozialen Netzwerken dominiert ein klares Muster – Israel wird kritisiert, angeklagt, dämonisiert. Fast täglich heißt es: Israel mache dies falsch, jenes sei unverhältnismäßig, jede Reaktion sei „völkerrechtswidrig“. Gegendarstellungen? Kaum. Nuancen? Selten. Ausgewogene Stimmen? Höchstens als Alibi – um sie dann sofort zu relativieren.


Gerade in Talkshows zeigt sich das besonders deutlich. Immer wieder werden gezielt jüdische Gäste eingeladen – nennen wir es beim Namen: oft als „Quotenjuden“ oder „Quoten-Israelis“. Meist sind es Personen, deren Positionen ins erwartbare Meinungsbild passen – kritisch gegenüber Israel, angepasst an die vorherrschende Rhetorik der Sendung. Ihre Präsenz dient als moralisches Feigenblatt: „Seht her, ein Jude sagt es auch – dann darf es wohl gesagt werden.“ Was nach Vielfalt aussieht, ist in Wahrheit ein kalkulierter Konsens. Abweichende jüdische Stimmen – jene, die sich nicht fügen – bleiben außen vor oder werden delegitimiert.


Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Ursachen, Hintergründen und der Komplexität des Nahostkonflikts findet kaum noch statt. Kritik ist erlaubt – aber wenn sie nur aus einer Richtung kommt, wird sie zur Anklage. Und diese permanente, einseitige Darstellung hat Folgen.


Der jüngste Bericht des RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus) zeigt einen deutlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle in Deutschland. Über 75 % der dokumentierten Fälle seit dem 7. Oktober 2023 stehen in direktem Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt. Viele davon wurden im Umfeld von pro-palästinensischen Demonstrationen, in Schulhöfen oder online registriert.


Es ist mehr als nur ein Warnsignal: Ausgerechnet nach dem schwersten Massaker an Jüdinnen und Juden seit der Schoah – dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober – wächst in Deutschland der Antisemitismus. Der Hass auf Israel nimmt zu. Die Gewalt gegen jüdische Menschen steigt. Und das nicht nur am Rand der Gesellschaft, sondern zunehmend auch aus dem linken Milieu und sogenannten „solidarischen“ Kreisen. Jüdische Identität wird wieder zur Projektionsfläche. Und das genau in jenem Land, das sich nie wieder in die Gleichgültigkeit zurückziehen wollte.


Diese Dynamik ist kein Einzelfall. Jüdische Stimmen geraten dann unter Druck, wenn sie sich nicht auf die Rolle des Opfers beschränken. Wenn sie präsent sind, wenn sie widersprechen, wenn sie sich wehren – und damit den Rahmen sprengen, den man ihnen zugedacht hat.


Der Antisemitismus, der sich hier zeigt, kommt nicht als Parole, sondern als moralische Empörung. Er tarnt sich als Rücksichtnahme, als Sensibilität, als politische Haltung. Doch er zielt auf das Gleiche: auf Ausschluss, auf Schweigen, auf Unsichtbarkeit.


Viele, mit denen dieses Ereignis besprochen wurde, kamen zur gleichen Einschätzung: Nicht ein Missverständnis stand im Raum, nicht verletzte Befindlichkeiten – sondern klar erkennbarer linker Antisemitismus. Das Gespräch war nur der Auslöser, nicht der Grund. Entscheidend war, dass eine jüdische Stimme eine unbequeme Haltung vertreten hat – und damit aus einem ideologischen Raster fiel, das keine Abweichung duldet.


Schweigen wäre die bequemere Option gewesen. Doch wer schweigt, überlässt das Feld jenen, die nur ihre eigene Wahrheit gelten lassen. Wer sich zurückzieht, macht Platz für eine Radikalisierung, die weder Dialog noch Koexistenz will.



Fazit:

Was als privater Vorfall begann, entpuppt sich als gesellschaftlicher Spiegel. Eine jüdische Stimme, die sich nicht fügt, wird nicht widersprochen – sie wird ausgeladen.


Das eigentliche Problem liegt nicht im Streit der Meinungen, sondern in der Angst vor ihrer Existenz. Wer abweichende Positionen nicht aushält, hat die Grundlagen demokratischer Debatten längst verlassen.


Antisemitismus zeigt sich heute nicht nur im Hass – sondern auch im Schweigen. Im höflichen Ausladen. Im ideologischen Wegsehen. Deshalb braucht es Klarheit, Haltung und Sichtbarkeit. Und den Mut, auch dann zu sprechen, wenn es andere verstummen lassen wollen.


Ja, es gibt Enttäuschung. Nicht, weil eine Einladung ausblieb – sondern wegen des Verhaltens, der Ignoranz und der fehlenden Ehrlichkeit, die dahinterstehen. Diese Erfahrung steht exemplarisch für etwas Größeres: eine Gesellschaft, in der Offenheit schwindet, Diskussion ersetzt wird durch Abgrenzung, und Unbequemes lieber ausgespart als ausgehalten wird. Wenn selbst unter Bekannten, in beruflichen Kontexten und zwischen Menschen, die sich lange kennen, das Gespräch verstummt – was sagt das über den Zustand unseres gesellschaftlichen Miteinanders? Wenn Meinungsvielfalt zur Einbahnstraße wird, wenn es nur noch heißt „my way or the highway“, dann steht nicht nur der Dialog auf dem Spiel – sondern unsere Demokratie selbst.


Dieses Verhalten ist alles andere als tolerant und respektvoll. Es zeigt deutlich: Es gibt nur eine Meinung – und wer davon abweicht, wird ausgegrenzt. Seht Euch nur die pro-palästinensischen Demonstrationen in Berlin an: Welcher Hass, welche Hetze wird dort verbreitet – gegen Jüdinnen und Juden, gegen Israel. Und das nicht nur von Palästinensern, sondern ebenso von linken Gruppierungen. Ein Zeichen oder Wille zur Koexistenz und zum friedlichen Zusammenleben? Nicht zu erkennen.


Die öffentlich-rechtlichen Medien zeigen diese Demonstrationen kaum – und schon gar nicht, in welchem Ausmaß sie stattfinden. Jüdische und pro-israelische Demonstrierende stehen dort unter Polizeischutz, während die Gesellschaft wegsieht. Diese Gewalt geschieht mitten in unseren Städten – und trotzdem wird sie verharmlost oder ignoriert. Statt unsere Werte zu verteidigen und für ein demokratisches, liberales Deutschland einzustehen, duldet man Demonstrationen, die offen gegen diese Werte agitieren.


Die zentrale Frage lautet: Was wollen wir in diesem Land – eine jüdische Gemeinschaft, die schweigt, sich duckt und nur als Opfer akzeptiert wird? Oder eine offene, stolze Gesellschaft – jüdisch, christlich, muslimisch, säkular – in der Menschen einander respektieren, die Werte des anderen anerkennen, Unterschiede aushalten und gemeinsam an Koexistenz und friedlichem Zusammenleben arbeiten?


Was es nicht braucht: Verharmlosung, ideologischen Tunnelblick und das gezielte Verstummenlassen. Was es braucht: Mut zur Wahrheit. Und die Bereitschaft, auch das Unbequeme stehen zu lassen – weil es existiert.


Es liegt an uns allen, den Raum für ehrliche Debatten zurückzuerobern.


 
 
 

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