Gaza-Deal zeigt Europas moralisches Abseits – und die Rückkehr der Realpolitik im Nahen Osten
- Zeev Rosenberg
- 12. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Bild: Deutsche Botschaft in Tel Aviv
Europa hat sich in den vergangenen zwei Jahren weniger als sachlicher Vermittler, sondern mehr als moralischer Apostel präsentiert. Mit einseitigen Sanktionen, politischen Schuldzuweisungen und öffentlicher Belehrung gegenüber Israel hat die Europäische Union ihre Rolle als glaubwürdiger Akteur im Nahen Osten selbst verspielt. Anstatt auf Vermittlung und Ausgleich zu setzen, wurde mit doppelten Maßstäben argumentiert – moralisch überladen, aber strategisch schwach.
Frankreich, Großbritannien und Spanien haben ihre Nahostpolitik zunehmend von innenpolitischen Erwägungen bestimmen lassen. Die Angst, muslimische Wählergruppen zu verlieren, überlagert in Paris, London und Madrid jede außenpolitische Vernunft. Das Ergebnis: eine Politik, die nicht die Realität der Region widerspiegelt, sondern das Kalkül der nächsten Wahl.
Wer die Mentalität des Nahen Ostens nicht versteht, wer kulturelle Codes ignoriert und sich stattdessen auf moralische Inszenierung beschränkt, verliert jede Glaubwürdigkeit. Europa hat genau das getan – und sich selbst ins Abseits manövriert.
Auch die Vereinten Nationen haben in den vergangenen zwei Jahren kaum zur Deeskalation beigetragen. Generalsekretär António Guterres und UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese haben ihre politische Neutralität wiederholt vermissen lassen. Besonders Albanese fiel durch einseitige Bewertungen und israelfeindliche Rhetorik auf, die weit über legitime Kritik hinausging. Ihre Äußerungen haben die Glaubwürdigkeit der UN weiter beschädigt und gezeigt, wie tief der institutionelle Antisemitismus in Teilen der Organisation verankert ist.
Seit dem 7. Oktober 2023 ist zudem ein alarmierender Anstieg antisemitischer Vorfälle in Europa zu verzeichnen. Laut dem Recherche- und Informationszentrum Antisemitismus (RIAS) stieg die Zahl der dokumentierten Fälle in Deutschland im Jahr 2024 um rund 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – von 4.886 auf 8.627 gemeldete Vorfälle. Ein deutliches Zeichen, dass Antisemitismus längst nicht mehr ein Randphänomen ist, sondern mitten in der europäischen Gesellschaft angekommen ist.
Die neue Vereinbarung, die unter Vermittlung der USA, Ägyptens, Katars und Saudi-Arabiens zustande kam, umfasst Sicherheitsgarantien, humanitäre Verpflichtungen und den schrittweisen Wiederaufbau des Gazastreifens unter internationaler Aufsicht. Zudem sieht sie eine enge operative Zusammenarbeit zwischen Israel, Ägypten und Katar vor – mit Washington als Garant der Umsetzung.
Während Washington vermittelt, Kairo organisiert und Katar wie auch Riad verhandeln, bleibt Europa Beobachter. Der moralische Zeigefinger ersetzt keine Diplomatie. Die Region braucht Verhandlung, nicht Verurteilung.
In der europäischen Öffentlichkeit dagegen wächst die Müdigkeit gegenüber moralischer Überhöhung – viele Bürger erkennen inzwischen, dass Prinzipien ohne Wirkung nur Symbolpolitik bleiben.
In Israel selbst ist die gesellschaftliche Stimmung gespalten. Zwischen Erleichterung über das Ende des Krieges und Zorn über politische Versäumnisse sucht das Land nach einem neuen inneren Gleichgewicht. Die Massendemonstrationen für den Deal zeigen, dass die israelische Demokratie funktioniert – und dass die Bevölkerung Frieden will, ohne Illusionen.
Für Israel ist zu hoffen, dass bald Neuwahlen stattfinden und sich eine neue, ausgewogenere und liberalere Koalition bilden wird. Ebenso sollte eine staatliche Untersuchungskommission zum 7. Oktober 2023 einberufen werden – so, wie es rund 70 Prozent der Israelis fordern. Nur durch Transparenz und Aufarbeitung kann das Vertrauen in Staat und Armee wieder gestärkt werden.
Sicherheitsstrategisch hat sich die Lage Israels nach dem Sturz der Hisbollah-Führung und dem Machtverlust des Assad-Regimes verbessert. Die nördliche Grenze gilt als stabiler als in den Jahren zuvor. Auch wenn es nur vorsichtige Anzeichen sind, könnten sich daraus erstmals seit Jahrzehnten Chancen auf ein begrenztes Abkommen mit Libanon und Syrien ergeben – ein Szenario, das vor dem Krieg kaum denkbar gewesen wäre.
Für Gaza lässt sich hoffen, dass eine internationale arabische Behörde unter der Schirmherrschaft von Donald Trump und Tony Blair den Wiederaufbau übernimmt und die Grundlage für eine stabile Verwaltung schafft. Eine Aufgabe, die kaum schwerer sein könnte – denn die Hamas wird trotz Vereinbarung kaum bereit sein, politische Macht freiwillig abzugeben.
Ausgerechnet Donald Trump, dem man sonst jede diplomatische Fähigkeit abspricht, hat diesmal verstanden, wie Nahostpolitik funktioniert. Er behandelte die Vereinbarung wie ein Geschäft – hart, pragmatisch, ergebnisorientiert. Ohne ideologische Umwege, ohne symbolische Gesten. Am Ende war er der Einzige, der beide Seiten – Israel und Hamas – gleichzeitig unter Druck setzen konnte.
Zentral bleibt die Frage, ob die neue Vereinbarung auch langfristig sicherheitspolitisch trägt – ob Waffenruhe, Grenzkontrolle und Entwaffnung der Hamas mehr als nur Papier bleiben. Der nächste Test für die neue Nahost-Ordnung wird darin liegen, ob die arabischen Staaten ihren Zusagen Taten folgen lassen – finanziell wie politisch. Wenn aus Worten Infrastruktur und aus Vereinbarungen Stabilität wird, könnte das die Region dauerhaft verändern.
Realpolitik hat gesiegt, nicht Moral. Und genau das ist der Grund, warum der Nahe Osten heute einen Schritt näher an Stabilität ist, während Europa am Rand steht – empört, aber wirkungslos.
Der neue Nahost-Kurs zeigt, dass Moral ohne Strategie keine Wirkung entfaltet. Während Europa in Prinzipien redet, handeln andere – und schaffen Fakten. Der politische Einfluss verschiebt sich längst Richtung Washington, Kairo, Riad und Doha. Wer in dieser neuen Ordnung bestehen will, muss lernen, zuzuhören statt zu belehren, zu verstehen statt zu verurteilen.
Nur wer die Sprache der Region spricht – ihre Interessen, Machtmechanismen und Realitäten – kann auch künftig Teil der Lösung sein. Alles andere bleibt gut gemeint, aber wirkungslos.









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