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Die stille Revolution der Inklusion in der Hotellerie – und warum sie erst beginnt

  • Autorenbild: Zeev Rosenberg
    Zeev Rosenberg
  • 29. Juni
  • 5 Min. Lesezeit
KI Bild - Die stille Revolution der Inklusion in der Hotellerie – und warum sie erst beginnt
KI Bild - Die stille Revolution der Inklusion in der Hotellerie – und warum sie erst beginnt

Dieser Newsletter zählt bestimmt zu einem der wichtigsten, die ich schreibe. Nicht, weil er laut ist. Sondern gerade, weil das Thema, um das es geht, viel zu selten im Vordergrund steht – obwohl es längst dort hingehört. Inklusion in der Hotellerie ist kein Ideal, das man feiern sollte, wenn es zufällig geschieht. Sie ist ein Maßstab. Für Haltung. Für Zukunftsfähigkeit. Für das Selbstverständnis einer Branche, die vom Miteinander lebt.


Vor einigen Wochen habe ich über das Thema Werte geschrieben – und genau hier schließt sich der Kreis. Inklusion ist kein soziales Randthema, sie ist ein Spiegel unserer inneren Haltung. Wer lieber darüber hinwegschaut, wer Teilhabe ignoriert, aus Bequemlichkeit oder Kalkül, der hat kein Umsetzungsproblem – sondern ein Werteproblem. Es geht nicht nur darum, ob ein Arbeitsplatz geschaffen wird, sondern ob Verantwortung als zentrales Element von Führung verstanden wird. Wer ausschließlich auf sich selbst oder den eigenen Vorteil blickt, vergisst, dass Gesellschaft nur dann funktioniert, wenn alle mitgedacht werden.


Im eigenen Hotelbetrieb wird dieses Thema in diesem Jahr gezielt in Angriff genommen. Nicht als Pflichtübung, sondern aus Überzeugung – begleitet von der Erkenntnis, dass diese Entscheidung längst hätte fallen müssen. Die Frage, warum Inklusion in so vielen Häusern noch immer mit Zurückhaltung behandelt wird, lässt sich nicht mehr mit Unwissen beantworten. Wer heute nicht handelt, entscheidet sich aktiv gegen Teilhabe. Und das ist nicht nur moralisch, sondern zunehmend auch wirtschaftlich fragwürdig.


Der Gedanke führt zurück zu einem persönlichen Moment, der fünfzehn Jahre zurückliegt. 2009 wurde einem Menschen mit Behinderung eine Chance gegeben. Kein symbolischer Akt, keine projektbezogene Maßnahme. Einfach ein Arbeitsverhältnis, das bis heute nachwirkt – menschlich wie beruflich. Der Kontakt besteht noch immer. Vielleicht, weil echte Inklusion nie mit dem ersten Arbeitstag endet.


Dass das Thema nun breiter diskutiert und konkret unterstützt wird, ist auch ein Verdienst der Verbände. Die gemeinsam von der HSMA und dem Hotelverband Deutschland (IHA) veröffentlichte „Handreichung Inklusion in der Hotellerie“ ist ein Meilenstein. Als damaligen Vorstandsmitglied und der HSMA und heute als Präsident erfüllt es mit aufrichtiger Freude, dieses Werk mitgestaltet zu haben. Es ist kein theoretisches Papier, sondern ein praxistauglicher Kompass für alle, die mehr wollen als Alibi-Statements.


Ein Name darf dabei nicht fehlen: Martin Bünk. Seit Jahren arbeitet er auf diesem Feld mit Kompetenz, Tiefe und Integrität. Wer ihn kennt, weiß: Er ist nicht nur fachlich einer der besten Ansprechpartner zum Thema Inklusion in der Hotellerie – er ist auch ein Mensch, der mit seiner Art Brücken baut, wo andere noch Barrieren sehen. Seine Arbeit ist leise, aber wirksam. Und ein Vorbild für das, was möglich ist, wenn Überzeugung auf Know-how trifft.


Dass Inklusion nicht an Institutionen scheitern muss, zeigt auch ein Konzern wie Premier Inn. Anfang 2024 wurde öffentlich, dass das Unternehmen barrierefreie Arbeitsplätze schafft, Prozesse umstellt, Bewerbungsgespräche neu strukturiert – nicht in einem Haus, sondern systematisch. Keine Marketingoffensive, sondern ein strukturierter Kulturwandel, der das ganze Unternehmen betrifft. Premier Inn Pressemitteilung


Ein anderes Bild entsteht in Künzelsau. Dort steht das Hotel Anne-Sophie – betrieben von der Stiftung Würth, geführt mit Präzision und Mitgefühl. Hier begegnen sich Menschen mit und ohne Behinderung auf Augenhöhe. Gäste erleben diese Atmosphäre unmittelbar – nicht als Konzept, sondern als Haltung. Das Haus gehört zum Embrace-Verbund, der in Deutschland rund 40 Inklusionshotels vereint, alle mit dem Anspruch, mindestens 30 Prozent ihrer Belegschaft aus Menschen mit Behinderung zu rekrutieren. hotel-anne-sophie.de | embrace-hotels.eu


Doch während einzelne Leuchttürme existieren, bleibt die Fläche erschreckend dunkel. Nur 18,8 Prozent der Hotels mit mehr als 60 Mitarbeitenden erfüllen die gesetzliche Quote für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Die Pflegebranche kommt im Vergleich auf mehr als das Doppelte. Die Zahl allein wäre noch keine Schlagzeile. In Verbindung mit dem Fachkräftemangel allerdings wird sie zur Bankrotterklärung einer Branche, die oft lieber über Mangel klagt, als über Lösungen spricht.


Dabei existieren nicht nur Modelle, sondern auch Wege, sie umzusetzen. Die erwähnte Handreichung liefert dafür klare Antworten: Von barrierefreiem Recruiting über Förderprogramme bis hin zur Zusammenarbeit mit Organisationen wie der MiA-Akademie oder der Hamburger Arbeitsassistenz. Ihre Arbeit ist still, aber sie verändert Leben. Und Betriebe. Und Perspektiven.


Da ist Patrick, der in einem Steigenberger Hotel längst zum festen Bestandteil des Teams geworden ist. Da ist Simon, der in einem Marriott Hotel von seiner Arbeit spricht, als ginge es um eine Berufung. Und da ist Aaron, der nicht über seine Einschränkung definiert wird, sondern über das, was er kann – und das ist viel.


Inklusion ist in Wahrheit ein Stresstest für Unternehmenskultur. Wer meint, sie mit einer Rollstuhlrampe am Hoteleingang abhaken zu können, hat das Prinzip nicht verstanden. Sie beginnt dort, wo Prozesse überdacht, Teams sensibilisiert und Führungskräfte in ihrer Vorbildfunktion ernst genommen werden. Inklusion ist unbequem – weil sie alle betrifft. Doch sie lohnt sich – für alle.


Das zeigt auch die Gruppe Incotels. Ihre Häuser sind barrierefrei gedacht, architektonisch mutig und wirtschaftlich solide. Wer dort arbeitet oder Gast ist, merkt: Hier wurde nicht „Inklusion umgesetzt“. Hier wurde sie verstanden. incotels.com


Und dann ist da noch Max Luscher, der mit seinem neuen Projekt in Bremen einen mutigen und konsequenten Schritt geht: ein inklusives Gastronomiekonzept, das nicht nachträglich angepasst wurde, sondern von Beginn an genau dafür gedacht war. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Sebastian Koopmann eröffnet er das „Stadler & Käffchen“ – einen Ort, an dem Menschen mit und ohne Behinderung selbstverständlich zusammenarbeiten. Es geht dabei nicht um Alibi-Maßnahmen oder PR-wirksame Gesten, sondern um reguläre, tariflich bezahlte Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt – eingebettet in ein professionelles, durchdachtes gastronomisches Konzept. Luscher, früher CEO von B&B Hotels, verbindet unternehmerischen Anspruch mit sozialer Verantwortung und zeigt, dass Inklusion und wirtschaftlicher Erfolg sich nicht ausschließen – sondern gegenseitig bedingen können.


Die entscheidende Frage bleibt: Wollen wir weiter Ausnahmen feiern – oder endlich Standards setzen? Solange Inklusion in der Hotellerie als Sonderfall gilt, bleibt sie anfällig für Rückschritte. Erst wenn sie Teil des Normalbetriebs ist, wird sie resistent, belastbar – und selbstverständlich.


Vielleicht ist es dieser Moment, der später als Wendepunkt gelten wird. Nicht der Einzug der nächsten digitalen Innovation. Sondern die stille Entscheidung eines Hoteldirektors, einem Menschen mit kognitiver Einschränkung nicht nur eine Chance zu geben – sondern eine Perspektive. Nicht aus Mitleid. Sondern aus echtem Verständnis für das, was Gastfreundschaft im Kern bedeutet.


Und vielleicht sollten auch die lokalen und Landesverbände des DEHOGA noch aktiver werden, wenn es um dieses Thema geht. Inklusion ist kein Nebenschauplatz. Sie gehört ins Zentrum jeder Branchendebatte – nicht als Forderung von außen, sondern als innere Haltung. Es wäre ein wichtiges Zeichen, wenn die Verbände nicht nur Orientierung geben, sondern Hotels aktiv dabei unterstützen, Inklusion als Chance zu begreifen – mit Know-how, Mut und praktischer Begleitung. Denn viele wollen, aber wissen nicht, wie. Und genau hier beginnt Verantwortung.


Fazit

Inklusion ist kein Zusatz, sondern ein Gradmesser dafür, wie ernst eine Branche ihre eigene Menschlichkeit nimmt. Es geht nicht um Quoten, sondern um Haltung – und darum, ob wir bereit sind, die Hotellerie als Spiegel der Gesellschaft zu begreifen, in der wirklich jeder Platz haben muss. Wer das ignoriert, stellt nicht nur Menschen außen vor – sondern auch die Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens.


Wer Inklusion verweigert, entscheidet sich gegen das Wesentliche: gegen Menschlichkeit, gegen Verantwortung – und am Ende auch gegen Erfolg.


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