Warum dürfen Hotels und Restaurant ihre Gäste nicht bewerten?
- Zeev Rosenberg
- vor 12 Minuten
- 3 Min. Lesezeit

Warum dürfen Hotels und Restaurant ihre Gäste nicht bewerten?
Ein Blick auf ein systemisches Ungleichgewicht
In der Hotellerie passiert täglich, was in keinem anderen Dienstleistungsbereich so selbstverständlich toleriert wird: Gäste werden laut, unsachlich oder persönlich. Mitarbeitende bleiben höflich, professionell und zurückhaltend – selbst dann, wenn ihnen der Respekt längst entzogen wurde. Bewertungsportale belassen nahezu jede Form von Kritik online, unabhängig von Tonfall oder Wahrheitsgehalt. Google, Tripadvisor oder HolidayCheck greifen nur in Ausnahmefällen ein, und auch dann erst, wenn die Rechtslage keinen Interpretationsspielraum mehr lässt. Die Folge ist ein offenes Feld für Manipulationen, Übertreibungen und persönliche Angriffe.
Das Ungleichgewicht ist offensichtlich. Gäste dürfen austeilen, Hotels müssen einstecken.
Andere Branchen haben längst erkannt, dass Fairness nur entsteht, wenn beide Seiten bewerten dürfen. Airbnb erlaubt Gastgebern und Gästen eine gleichberechtigte Bewertungskultur. Uber nutzt ein doppeltes Ratingsystem, das Verhalten und Zuverlässigkeit aller Beteiligten abbildet. Diese Transparenz wirkt unmittelbar: Wer weiß, dass sein Verhalten sichtbar wird, handelt anders. Doch genau diese Logik bleibt der Hotellerie verwehrt.
Der Grund dafür liegt in einem Regulierungsrahmen, der an der Realität vorbeigeht. Die DSGVO schützt personenbezogene Daten der Gäste – und das mit einer Strenge, die jede sachliche Bewertung eines Gastes praktisch unmöglich macht. Persönlichkeitsrechte dominieren das System und verhindern jede Form von Transparenz, die über reine Höflichkeitsfloskeln hinausgeht. Die Branche wird damit strukturell benachteiligt.
Gleichzeitig haben digitale Bewertungen längst erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen. Studien zeigen, dass 92 Prozent der Reisenden Online-Bewertungen zur Entscheidungsfindung nutzen. Eine einzige verzerrte oder falsche Bewertung kann Ranking, Preisstruktur und Auslastung verändern. Sie beeinflusst, wie attraktiv ein Haus für neues Personal erscheint und wie Investoren künftige Potenziale einschätzen. Wer glaubt, Bewertungen seien nur eine Stilfrage, hat den Ernst der Lage nicht verstanden.
Doch der größte Schaden trifft nicht die Unternehmen, sondern die Menschen, die dort arbeiten. Kritik richtet sich selten gegen abstrakte Marken, sondern meist gegen einzelne Mitarbeitende. Rezeptionisten, die beleidigt werden, weil sie Regeln durchsetzen. Servicemitarbeitende, die für das Verhalten anderer Gäste verantwortlich gemacht werden. Köche, deren Leistung anhand subjektiver Befindlichkeiten öffentlich demontiert wird. Mitarbeitende werden so zur Zielscheibe eines Systems, das ihnen keinerlei Schutz bietet und ihnen keine Möglichkeit einräumt, sich gegen öffentliche Angriffe zu wehren.
In Zeiten eines massiven Fachkräftemangels ist diese Asymmetrie ein strukturelles Risiko. Wertschätzung beginnt nicht bei Benefits, Obstkörben oder einem Kickertisch, sondern bei Rahmenbedingungen, die Mitarbeitende nicht der digitalen Willkür überlassen. Wer Mitarbeitende schützen will, muss ein Bewertungssystem schaffen, das Fairness nicht nur fordert, sondern umsetzt.
Hinzu kommt die Rolle der Plattformen selbst. Bewertungsportale profitieren von Aufmerksamkeit, Interaktion und Empörung. Negative oder emotionale Bewertungen erzeugen mehr Klicks – und damit bessere Werbeeinnahmen. Eine konsequente Moderation liegt daher nicht im wirtschaftlichen Interesse dieser Unternehmen. Der Algorithmus belohnt Extreme, nicht Fakten. Hotels sind von Plattformen abhängig, die Transparenz predigen, aber ein System fördern, das Verzerrungen systematisch verstärkt.
Der Widerspruch wird noch größer, wenn man die Regelungen sozialer Medien betrachtet. Plattformen wie X, Instagram oder TikTok lassen Inhalte stehen, die weit über den Rahmen des Zumutbaren hinausgehen: persönliche Angriffe, rassistische Kommentare, antisemitische Parolen oder einfach bewusst verbreitete Lügen. Während digitale Plattformen die radikalsten Stimmen oft ungehindert wirken lassen, dürfen Hotels nicht einmal nüchterne Fakten über dokumentiertes Fehlverhalten veröffentlichen.
Dieses Nebeneinander von maximaler Freiheit auf der einen und maximaler Reglementierung auf der anderen Seite macht deutlich, dass die DSGVO an entscheidenden Stellen nicht zu Ende gedacht wurde. Der Gesetzgeber reguliert dort streng, wo es keiner fordert – und schaut weg, wo Schutz dringend nötig wäre.
Ein faires System wäre weder kompliziert noch gefährlich. Es würde auf sachlich dokumentierten Kriterien basieren: Respekt gegenüber Mitarbeitenden, Einhaltung der Hausordnung, Zahlungsverhalten, verursachte Schäden oder klare Vorfälle. Eine solche Form der Transparenz existiert bei Airbnb und Uber längst und funktioniert ohne Chaos, ohne Pranger und ohne Missbrauch. Die Konsequenzen wären klar: weniger aggressives Verhalten, weniger manipulative Bewertungen, mehr Entlastung für Mitarbeitende und eine deutlich objektivere Bewertungslandschaft.
Was politisch jetzt notwendig wäre, liegt auf der Hand: eine Anpassung der DSGVO, die sachliche und dokumentierte Rückmeldungen erlaubt; gesetzliche Vorgaben, die Plattformen zu einer effektiven Moderation verpflichten; ein Gegendarstellungssystem, das Hotels und vor allem Mitarbeitenden Schutz bietet; und transparente Standards, die für alle Branchen gelten, nicht nur für jene, die am leichtesten zu kontrollieren sind.
Fazit
Die Hotellerie trägt seit Jahren die Folgen eines Bewertungssystems, das Transparenz predigt, aber Fairness verweigert. Gäste können alles äußern, ungefiltert und ohne Konsequenzen. Hotels dagegen müssen schweigen – aus rechtlichen Gründen, nicht aus sachlichen. Eine Branche, die wirtschaftlich von Bewertungen abhängig ist, verdient ein System, das beide Seiten gleich behandelt und Mitarbeitende schützt. Wer Transparenz fordert, muss sie auch zulassen. Wer bewertet, muss bewertet werden können.
Ein Bewertungssystem, das Schweigen erzwingt, ist kein Fortschritt – es ist ein Rückschritt.









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