Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Wie viel Knigge steckt noch in der Hospitality?
- Zeev Rosenberg
- 13. Juli
- 3 Min. Lesezeit

Es gehört zu den angenehmen Seiten meines Berufslebens, dass ich viele engagierte Menschen in der Hospitality kennenlernen durfte – Gastgeberinnen und Gastgeber im besten Sinne. Doch je öfter ich mit Mitarbeitenden, Auszubildenden oder Führungskräften spreche, desto häufiger wird mir gespiegelt: Es knirscht. Und zwar nicht nur bei Arbeitszeiten, Löhnen oder Fachkräftemangel. Es geht um etwas Tieferes. Um Haltung. Um Respekt. Um Menschlichkeit im Alltag – kurz: um Knigge. Nicht als Etikette-Programm, sondern als Ausdruck eines wertschätzenden Miteinanders.
Wir sprechen in unserer Branche oft davon, dass die Hospitality ein Vorbild sein sollte – im Umgang mit Gästen ebenso wie mit Mitarbeitenden. Die Werte von Anstand, Respekt, Höflichkeit und Verlässlichkeit, wie sie einst Knigge formuliert hat, sollten unser tägliches Handeln prägen. Soweit die Theorie. Die Praxis sieht leider zu oft anders aus.
Schon beim Bewerbungsverfahren beginnt das Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Da werden Bewerbungen automatisiert beantwortet – oder gar nicht. Termine werden nicht eingehalten (auch von Bewerbenden), Rückmeldungen bleiben aus, Gespräche verlaufen im Sande. Wer sich so verhält, zeigt nicht nur mangelnden Respekt gegenüber Bewerbenden, sondern offenbart auch, dass zentrale Werte wie Verbindlichkeit und Anstand offenbar keine Rolle mehr spielen. Dabei reden wir doch gerne davon, wie wichtig uns unsere Mitarbeitenden sind.
Und wenn dann jemand Teil des Teams ist – wie sieht die Realität aus? Wird ehrlich kommuniziert? Wird zugehört? Wird auch einmal gefragt, wie es dem Menschen hinter der Funktion geht – ganz unabhängig von Zahlen, Aufgaben und Deadlines? Oder reduziert sich Führung zunehmend auf Kontrolle, Vorgaben und das Durchreichen von Druck?
Besonders deutlich wird das beim Thema Kündigungen. Auch hier offenbart sich oft eine erschreckende Kälte. Keine klärenden Gespräche vorab, keine Hinweise, keine Chance zur Verbesserung – stattdessen plötzliche Trennung per Telefon oder durch einen blutrünstigen Anwalt, dessen Ziel es offenbar ist, Mitarbeitende systematisch mürbe zu machen. Wer sich so verhält, dokumentiert nicht nur Führungsschwäche, sondern ein grundsätzliches Missverständnis von Menschlichkeit und Würde. Und es ist kein Zeichen von Souveränität, wenn Führungskräfte sich hinter Paragraphen oder Dritten verstecken, statt das persönliche Gespräch zu suchen.
Gleichzeitig beobachten wir auf der Gästeseite eine andere Schieflage: Manches wirkt übertrieben, fast wie eine Inszenierung. Da wird mit Marken, Symbolen und Gesten gearbeitet – als ginge es darum, Status zu zeigen, statt Haltung. Dabei wäre gerade Authentizität ein starkes Zeichen. Ein Gastgeber überzeugt nicht durch Etikette allein, sondern durch Glaubwürdigkeit. Durch das, was er ausstrahlt – nicht durch das, was er trägt. Es braucht weniger Show und mehr Authentizität.
Manchmal liegt in der Bescheidenheit die wahre Kunst des Gastgebens. Und manchmal ist der leise, ehrliche Umgang mit Menschen eindrucksvoller als der große Auftritt mit Glanz und Gloria. Wer stets Champagner predigt, aber am Ende warmes Bier serviert, darf sich nicht wundern, wenn Mitarbeitende das Vertrauen verlieren.
Besonders in Krisenzeiten – ob Pandemie, wirtschaftliche Unsicherheit oder gesellschaftliche Spannungen – zeigt sich, wie ernst es eine Branche mit ihren Werten meint. Dann geht es eben nicht nur um Auslastung und Umsatz, sondern auch darum, ob man bereit ist, für das einzustehen, was man vorgibt zu sein.
Gerade in diesen wirtschaftlich und politisch herausfordernden Zeiten lohnt es sich, die Werte der Hospitality enger mit Knigge zu verbinden – nicht aus Pflichtgefühl, sondern als konkrete Einladung: an unsere Gäste, wieder vermehrt Hotels, Restaurants, Tagungen oder Events zu besuchen, weil sie wissen, dass sie bei uns einen Ort des Wohlgefühls betreten. Einen Ort der Anerkennung, der Wertschätzung und der Höflichkeit. Und ebenso für unsere Mitarbeitenden: einen Raum, an dem man sich auf den Dienst freut, weil dort Haltung zählt, Menschlichkeit gelebt wird – und eben auch die Höflichkeit à la Knigge spürbar ist.
„Der Umgang mit Menschen erfordert mehr Nachdenken als irgendeine Wissenschaft.“– Adolph Freiherr von Knigge
Denn gutes Benehmen ist kein Luxus. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner einer funktionierenden Gesellschaft – und einer Branche, die mehr ist als Show: ein Stück Kultur, ein Stück Verantwortung und, ja, ein Stück Heimat – und mehr als ein Stück Werte und viel Menschlichkeit, eben nach George Tabori: Jeder ist jemand.









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